Bolivien

< Porto Velho

Der Grenzübertritt von Brasilien nach Bolivien gestaltet sich mehr als einfach. Beide Länder sind durch den hier mindestens 500 Meter breiten Grenzfluß Rio Mamoré getrennt und es ist wie das Betreten einer anderen Welt. Eine Pontonfähre bringt uns ans andere Ufer. Die Preise purzeln ins Bodenlose und wir essen wieder für einen Dollar oder weniger. Das läßt uns wieder ein wenig aufatmen. Allerdings steht uns nun die Strecke nach La Paz bevor, wo jeder nur mit dem Kopf schüttelt wenn er unsere schweren Motorräder sieht. Die Meinungen über Entfernungen oder gar Fahrzeiten gehen weit auseinander und jedes mal wenn wir nachfragen, haben wir wieder eine neue, völlig andere Meinung. Bis La Paz sind es etwa 700 km und wir setzen uns bei trockenem Wetter vom Grenzort Guayaramerin langsam in Bewegung.

Die folgenden dreihundert Kilometer werden die schlimmsten in meiner gesamten Motorradfahrzeit.

Die ersten hundertfünfzig Kilometer waren noch gut befahrbar, obwohl sporadisch entgegenkommende Lkw schon Horrormeldungen über Unpassierbarkeit und solche Sachen vom Stapel ließen. Auf der Strecke reißt mit lautem Getöse meine Motorradkette. Das hätte übel ausgehen können.

Gerissene Kette

Die Kette ist gerissen

Wir übernachten an der Kreuzung mit Tankstelle wo die Straße nach Cobija abgeht. Sie ist ein markanter Punkt auf der langen Strecke und heißt bei allen Triangelo. Ein älteres Truckerpärchen mit erwachsenem Sohn warten dort auf Ersatzteile für ihren Camion (Lkw). Wir hängen unsere Hängematten unter einem Schattendach auf und lassen uns von den Dengue- und Malariamoskitos aussaugen.

Erste Nacht

Triangelo, Übernachtung an der Kreuzung La Paz/Cobija. Der Kaffee ist heiß.

Der zweite Tag begann noch ganz gut, bis die Strecke langsam immer schlechter wurde. Der einsetzende Regen tat sein übriges und die Pfützen wurden größer und größer. Von Lkw ausgefahrene Spurrinnen standen völlig unter Wasser und mußten von nun an erst einmal durchwatet werden, um der Gefahr des plötzlichen Versinkens zu entgehen. Der anhaltende starke Regen weicht uns bis auf die Knochen auf, doch durch das ständige Arbeiten und Motorrad-aus-dem-Dreck-ziehen wird uns nicht kalt. Meine Tenere mit ihren ohnehin schon 250 kg, ist noch zusätzlich mit vielleicht 60 kg beladen. Immer wenn ich also wieder im Schlamm lande, muß ich satte dreihundert Kilo wieder auf die Räder stemmen. Das den ganzen Tag, das schlaucht höllisch.

Tenere im Dreck

Wieder und wieder liegt die Tenere im Dreck. Sie ist einfach zu schwer für dieses Gelände.

Heiko steckt bis zur Hinterachse in einer Lkw-Fahrspur fest. Ich laufe zurück und wir schieben wie die Bären. Der Motor würgt ab. Der Anlasser knattert nochmal kurz dann ist ganz Ruhe. Das Anlasserrelais ist im Eimer. Ab jetzt heißt es, Kontakte überbrücken zum Anlassen. Bei den Strömen die dort fließen, schweißt er sich jedes Mal fast den Schraubendreher an.

Fähre in Bolivar

Bis die Brücke in Bolivar fertig gestellt ist, verrichten abenteuerliche Fähren ihren Dienst am todesmutigen Kunden

Der Regen hört auf und wir kommen durch Bolivar, eine kleine Ansiedlung an der Strecke mitten im Regenwald. Ich frage nach Trinkwasser und die nette fünffache Mutter füllt meine Flasche mit frischem Regenwasser, von dem sie genug haben dürfte. Schnell verabschiede ich mich wieder, da ich auf die Fragen in ihren Augen im Moment keine plausiblen Antworten hätte. Dreißig Kilometer weiter wird die Strecke plötzlich katastrophal und wir sehen Lkw stehen. Ach du Heimatland! Da stehen etwa 60 Lkw, die eine Hälfte in unsere, die andere Hälfte in entgegengesetzte Richtung. Und in der Mitte arbeiten alle Fahrer mit Hacken und Schaufeln an der Piste. Wir hangeln uns durch den Schlamm bis zur Mitte und sind für die Männer eine willkommene Abwechslung. Alle stehen um unsere Motorräder herum und stellen Fragen. Ich habe auch eine: Wie lange stecken die eigentlich hier schon fest? Die Antwort haut mich fast um. Ganze zwei Wochen! Unvorstellbar! Viele haben ihre Frauen mit dabei, die sich in kleineren Kommunen unter den Trucks eingerichtet haben oder in aufgespannten Hängematten liegen. Überall liegt der Müll von vielen Tagen. Wir müssen zum Glück nicht warten und die Männer helfen uns durch den Lehm. Geschoben, gestemmt, gegraben, dann sind wir durch. Wenn das so weiter geht, kommen wir auch auf zwei Wochen.

Arbeiter im Schlamm

Mitten im Regenwald nahe Natividad arbeiten sich die Fahrer von ca. 60 Lkw gemeinsam durch den Schlamm

Arbeiter im Schlamm

Natividad, die kleine Ansiedlung zwei Kilometer weiter, ist in heller Aufruhr und versorgt die Trucker mit Proviant. Im Gegensatz zu Bolivien ist Brasilien seit langem daran interessiert, diese Straße zu befestigen oder gar zu asphaltieren, um so eine wirtschaftlich wertvolle Verbindung zum Pazifik zu bekommen. Jedoch wird das wohl noch geraume Zeit mit Verhandlungen in Anspruch nehmen.

Der Regen setzt wieder ein und die äußerlich getrockneten Klamotten sind im nu wieder durch. Ein umgestürzter Volvo-Lkw liegt auf der Straße. Die Fahrer der anderen Trucks, man fährt hier immer im Verbund von mehreren Fahrzeugen um sich gegenseitig zu helfen, stehen dahinter. Die Ladung des Lkw haben die Jungs auf der Straße aufgestapelt und mit Planen notdürftig abgedeckt um wenigstens einen Teil davon vor dem anhaltenden, prasselnden Regen zu schützen. Sie selbst finden darunter ebenfalls Schutz. Ich mache schnell ein paar Fotos.

Umgestürzter Volvo

Es gießt wie aus Kannen, ein Lkw ist umgestürzt und wir müssen Reifen wechseln

Gerade will ich weiter fahren, als ich einen platten Vorderreifen feststelle. Verdammt und zugenäht, ausgerechnet jetzt, ausgerechnet hier und wiedermal ausgerechnet ich! Der Regen scheint sich darüber zu freuen und legt noch einen Zahn zu. Pachamama hat offensichtlich ihre helle Freude daran. Was soll’s, nach minutenlangem Fluchen und dem Verteufeln des gesamten Universums laden wir die Karre ab und fügen uns in unser Schicksal. Jeder Faden am Leib ist naß, also nasser kann es nicht werden, so das wir letzten Endes sogar wieder darüber lachen. Während ich den Schlauch heraushole, dessen Ventil komplett ausgerissen ist, denke ich mit Grausen an den Zeltaufbau der in weniger als zwei Stunden bevorsteht und wohl im strömenden Regen, bei Dunkelheit und irgendwo in der bolivianischen Pampa stattfinden wird. Da hält ein Allrad-Pickup und kurbelt seine Scheibe herunter. Der Mann ist in Eile und erklärt uns, das er fünf Kilometer weiter eine Hazienda mit Namen Amerika besitzt und wir sollten dort zum Übernachten anhalten, er würde unsere Ankunft per Funk ankündigen. Das nenne ich Fügung, im Vergleich zu dem was uns erwartet hätte. Wir werden von einem Boliviano mit Zigarette und dicker, mit Kokablättern gefüllten, Backe eingelassen. Er zeigt uns einen Platz unter einem Schauer und wir pellen uns aus den nassen Klamotten. Überall rennen fette Schweine jeden Alters herum. Steckdosen, jedoch ohne Strom. Wir sind völlig KO.

Die Hazienda scheint riesig, da der Koka kauende Einlasser von über 400 Rindern spricht.

Am nächsten Morgen steigen wir wieder in die nassen Klamotten, Schuhe und Helme. Weiter geht es durch den Schlamm. Wir fahren teilweise Schrittempo, da unsere abgefahrenen Straßenreifen auf dem nassen Lehm wie auf Schmierseife hin und her rutschen. Zuviel Gas und der Hinterreifen ist sofort weg. Kein Regen mehr seit heute Morgen. Die Piste trocknet in der knalligen Sonne langsam ab und mit jeder Stunde kommen wir schneller vorwärts.

Die Sonne geht langsam nieder und am Straßenrand taucht ein einzelnes Gehöft auf. Casa Blanca. Nun, weiß war es nicht und sehr einladend auch nicht, aber für kleines Geld können wir eines der ehemals schönen Gästezimmer mieten.


Die allerschlimmste Zeit war an Tag Vier. Von Casa Blanca, wegen des morgendlichen Regens, erst gegen Mittag 11:00 Uhr losgefahren, schaffen wir bis abends um halb Sechs ganze sieben Kilometer. Ich bin echt am Ende meiner Kräfte angelangt. Meine Batterie steht im roten Bereich und flackert bereits. Wie weit kann der Mensch gehen, bevor er einfach zusammenbricht? Wieder liegt die Scheißkarre im Dreck. Warum mach ich das alles eigentlich? Auch noch freiwillig, und einen Haufen Geld kostet mich dieser Wahnsinn außerdem. Ich verfluche die ganze Welt. Allein geht nichts mehr.

Schlamm

Am vierten Tag lassen die Kräfte nach und wir schieben ein Bike nach dem anderen mühevoll durch den Schlamm

Der zähe Lehm setzt sich unter dem Schutzblech fest. Das Vorderrad blockiert und krach, wieder liege ich im Schlamm. Heiko baut bei beiden Bikes die Schutzbleche ab, während ich wie gelähmt und fiebrig daliege und mich nicht mehr bewegen kann. Wir schieben jetzt zu zweit immer ein Motorrad nach dem anderen durch die Schlammstrecken. In sechs Stunden harter Arbeit ganze beschissene sieben Kilometer! Wie soll das weiter gehen? Da brauchen wir einen ganzen Monat.

Schutzblechdemontage

Der Boliviano schaut interessiert zu, wie Heiko die Schutzbleche demontiert, weil der Lehm die Räder blockiert

Und es geht weiter. Halb sechs Uhr abends kommt Land in Sicht. Ein Allrad-Jeep arbeitet sich uns langsam entgegen. Der Mann mit Frau und Sohn sind auch ständig am Graben und Schaufeln. Er meint, mit dem ausgestreckten Arm nach vorn weisend, hinter der nächsten Biegung wird die Strecke schlagartig besser und ihr seid in zwei Stunden in Santa Rosa. Das gibt uns wieder ein bißchen Hoffnung, welche ja bekanntlich als allerletztes stirbt. Er soll Recht behalten. Leider können wir ihm ähnliches aus unserer Richtung nicht berichten. Einige Lkw-Fahrer, welche warten müssen bis ein völlig im Schlamm versunkener Reisebus frei gegraben ist, helfen uns über die letzten achthundert Meter. Dann geht es endlich vorwärts. Immer noch einige Schlammdurchfahrten, aber das Gröbste ist geschafft. Beim letzten Sturz bricht mein Fußbremshebel, es muß also erst mal ohne Fußbremse gehen.

Wir kommen gegen acht halb Neun nach Santa Rosa, den Ort von dem die Straße besser werden soll. Überglücklich buchen wir uns in einer kleinen Pension ein. Wir trinken literweise Säfte und Wasser um die tagelange Dehydrierung durch das ständige Schwitzen auszugleichen und schlafen den ganzen nächsten Tag durch.


Fazit dieses Abschnittes unserer Reise ist, wir waren auf jeden Fall zur falschen Zeit am falschen Ort. Wobei die Regenzeit jetzt schon einen Monat vorbei sein sollte. Nicht mal aufs Wetter ist mehr Verlaß!


Die Bilanz

- In vier Tagen 300 km

- gerissene Kette (Yamaha)

- Ausfall des Anlasser Relais (Suzuki)

- abgebrochener Kupplungshebel (Suzuki)

- abgebrochener Spiegel (Yamaha)

- abgebrochener Fußbremshebel (Yamaha)

- Reifenplatzer vorn (Yamaha)

- abgebrochener Handschutz (Suzuki)

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