Venezuela

< Isla de Margarita

Nachdem nun das vergangene Wochenende in einem, nun ich will es mal »kleines Desaster« nennen, endete (Heikos Bauchtasche mit allen Papieren und Kreditkarten wurde gestohlen) und nun die ganze Prozedur mit Karten sperren und neue Papiere besorgen folgt, stellen wir fest, daß die deutsche »Erste Welt Bürokratie« in der Dritten Welt fast zum erliegen kommt.

Ein neuer Paß ist weniger ein Problem als der Verlust aller Stempel im alten. Bekommt man doch nach einer Woche einen neuen vorübergehenden, ein Jahr gültigen, grünen Paß für nur 150.000 Bolivar (ca. 60 Euro). Einen zehn Jahre gültigen roten Paß bekommt man für nur 30.000 Bolivar mehr, allerdings hat man dafür drei Monate zu warten, da dieser in Berlin ausgestellt wird. Bei 90 Tagen Aufenthaltsgenemigung sollte man also zusehen, daß man sich den Paß am besten gleich am ersten Tag klauen läßt.

Das deutsche Konsulat ist jedoch wie gelähmt wenn es um das Ausstellen einer neuen internationalen Zulassung geht. Diese, sowie der internationale Führerschein sind ebenfalls verschwunden. Solche Papiere haben die Mitarbeiter noch nie gesehen, geschweige dem haben sie gehört, daß es solche Papiere überhaupt gibt. »Nein , also das muß Deutschland machen.«

Simon, unser getreuer Fürsprecher zu Hause, mußte sich das zähe Gejammer der Bürokraten in Deutschland anhören und Heiko telefonierte später sogar mit der Zulassungsstelle hier von Venezuela aus. »Und da die Zulassung nur so lange gilt wie sie TÜV haben, würde sie eh nur bis Mai/Juni ausgestellt.«

Kurzum, damit alles seine Richtigkeit hat, werden wir unsere Bikes zwischendurch nach Deutschland fliegen, zum TÜV schaffen, bei der Zulassungsstelle eine neue Zulassung beantragen und dann schnell wieder verladen und zurück ... äähhhhhh, spinnen die??? Absoluter Schwachsinn, da muß man ja zum Fälscher werden. Aus einer 5 bei 2005 konnte man noch mit dem Kuli beim handgeschriebenen Gültigkeitsdatum eine 6 machen. Aber wie zur Hölle macht man aus einer 6 eine 7?

Nun, das nächste Wochenende bahnte sich an und wir beschlossen einen Motorradausflug zur Peninsula de Paria zu unternehmen, welche den nordöstlichsten Zipfel von Venezuela bildet. Zu allererst wieder auf der Küstenstraße, dem Major Highway, entlang, über Cumaná, Cariaco nach Carúpano. Von dort bis Rio Caribe auf einer Carretera Secundaria und dann ging’s auf die Piste durch herrlich dichten und duftenden Regenwald. Die Menschen die hier wohnen sind wohlgenährt und gut beleibt. Sie hausen in Lehmhütten deren Konstruktionen manchmal recht abenteuerlich anmuten. Schweine, Hühner mit ihren Küken, Enten und Kinder rennen auf der Straße herum. Der Dschungel strotzt vor Fruchtbarkeit und alle sind heiter und grüßen wenn sie uns vorüberbrausen sehen. Die kleine Bucht, an der wir schlußendlich heraus kommen, ist wunderschön. Links und rechts eingerahmt von steil aufragendem Schieferfelsen, mißt die Bucht vielleicht tausend Meter feinsten Sandstrandes, dicht bewachsen mit Kokospalmen. Wir satteln ab und stellen die Motorräder unter einem verfallenen Palmenwedeldach ab. Danach geht’s erstmal ins Wasser. Ich mache meine Angel klar um meinen Plastikköderfisch ein bißchen Gassi zu führen und habe auch sofort eine fünfköpfiges Team das mich begleitet. Die Kinder aus der Gegend fragen mir riesige Löcher in den Bauch. Die Kommunikation klappt ganz gut. Warum soll ich mir aber einen Ziegenbart anziehen und in einem Eimer nach Warschau fliegen ...?

Das Licht hier ist super zum Fotografieren und so dreh’ ich meine Runden. Die Kinder bringen uns sogenannte Wasseräpfel, die wir ihnen für 50 Cent je Kilo abkaufen. Früchte wie ich sie noch nie gesehen und köstlicher als alles was ich je vorher gegessen habe, wirklich und direkt aus dem Regenwald. Süß, aber auch leicht säuerlich mit intensivem, mir bisher unbekanntem Fruchtgeschmack. Mir schossen unweigerlich Namen wie Ahoi-Brause, BASF und Leuna in den Kopf.

Die Sonne läßt am nächsten Morgen auf sich warten und will nicht so recht einsehen, die Reste des nächtlichen Regengusses von unserem Zelt zu trocknen. Nachdem sie doch ein Einsehen hat packen wir auf und brechen zusammen. Unser erklärtes Tagesziel ist Macuro, das Ende der Welt. Wir hofften, nach Trinidad rübersehen zu können, aber wir konnten es nicht, da es uns nicht gelang, bis zur absoluten Spitze der Halbinsel, zum Pto. Colón vorzustoßen. Am Ortseingang von Irapa, einer mittelgroßen Kleinstadt, steht bereits das Empfangskomitee um das niemand gebeten hatte. Der Nationalgardist im Tarnfleck und rotem Barett. Mit der rechten handytelefonierend winkt uns mit der linken Hand siegessicher aus dem Verkehr an die Seite. Ich fahre zähneknirschend und vormichhinbrabbelnd heraus. Heiko, natürlich seit letztem Wochenende ohne Papiere unterwegs, gibt Gas. Mein erster Gedanke ist, Glück gehabt, ausgerechnet Heiko brauchte nicht herausfahren. Doch weit gefehlt. Mit nun erhobener Stimme und die Hand an der Waffe kommt der zornige Kollege zu uns und produziert sich zum Brigadegeneral. Was uns einfallen würde, nicht anzuhalten wenn befohlen. Susan mit ihrer amerikanischen »Riesige-blaue-Unschuldsaugen-Art«, beruhigt den 180-iger Puls und fährt auf Geheiß Heiko hinterher um ihn zurückzuholen. Währenddessen versucht der 1,65 m Riese meinen Paß zu lesen. Nachdem ich ihm freundlich erklärt habe, daß das was er da die ganze Zeit zu lesen versucht nur ein eingeklebtes USA-Visum ist, welches unglücklicherweise ein Foto von mir enthält, blättert er weiter. Er meint schließlich entschlossen, daß unser Aufenthalt in Venezuela abgelaufen wäre, ich bekomme einen leichten Adrenalinstoß, beruhige mich jedoch sofort wieder, da mir einfiel, daß wir sind kurz vor Weihnachten eingereist waren. Also kann das nicht stimmen. Ich nehme ihm den Paß aus der Hand (vielleicht ein bißchen angepißt) und blättert eine Seite weiter. Er hat den Honduras-Stempel vom 20. April irrtümlich für den venezolanischen gehalten. Der ist vom 20. Dezember. Endlich läßt er von mir ab. Susan weiß ihn zu verwirren und ist schnell fertig, mit der Paß-Kopie von Heiko will er sich jedoch nicht zufrieden geben und wir halten die Luft an. Er greift zu seinem Handy und telefoniert. Wir wägen unsere Chancen ab und stellen Vermutungen an. Dann entscheidet er, wir müssen nach Irapa hinein, in die Kaserne der Nationalgarde um mit seinem Vorgesetzten zu reden. So ein Mist. Ein junger Bursche in Zivil wird herangewunken. Er muß mit seinem Motorroller und einem dicklichen Soldaten hinten drauf in die Kaserne eiern, während wir hinter dem langsam zuckelnden Roller, der fast Platten hat, herfahren sollen. So geht’s durch die Stadt. Ein Fest für die Leute.

Wir lümmeln im Kasernenhof herum bis nach einer Stunde plötzlich Heikos Papiere unangetastet zurückkehren. Das erinnert mich an die freundliche Ratlosigkeit des spindeldürren Zwei-Meter-Abschnittsbevollmächtigten von Leuben, Herrn Kittel oder so ähnlich. Man wußte sich keinen Rat bis einer sagt »Laß’ uns so tun, als wären die nie hier gewesen«.

Nun, ein bißchen abgehalftert ist man wohl auch schon geworden, nach so langer Zeit und wir nehmen uns vor, in Zukunft ein bißchen überlegter vorzugehen (noch überlegter?).

Wir fuhren von Güiria, bis wohin der Major Highway Nr. 9 führte, eine kleine unscheinbare Asphaltstraße entlang der Bergkette, rauf und runter bis irgendwann nur noch Beton kam. Bergstürze und Abbrüche, bei denen die halbe Straße verschüttet oder eben in den Abgrund gespült wurde, weisen eindeutig darauf hin, das die Straße nicht sehr befahren ist. Als dann ganz abrupt auch der Beton aufhörte und die ehemalige Straße urplötzlich nur noch als schmaler Pfad oder schmale Schlammpiste weiterführte, machten wir schließlich nach 112 Tageskilometern enttäuscht kehrt. Ziel nicht erreicht. Das war bitter. Eines dieser letzten kleinen Abenteuer, einmal um die Halbinsel drumherum. Man muß viel Zeit einplanen und es ist sehr unsicher, da auf der gesamten Halbinsel der so genannte »Trafico de Narcoticas« zu Hause ist. Aber die Aussicht und die Fahrt selbst waren natürlich atemberaubend und entschädigten für so manches. Ich mußte Susan und Heiko ständig mit kurzen Fotostops nerven, da die Berge bis auf 1.048 m (Co. Patao) hochgingen und das Panorama einfach überwältigend war.

Also zurück, zunächst auf dem Highway bis zu dem kleinen Ort Bohordal, von dem es rechts weg durch den Canyon zur Puy-Puy-Bucht ging. Die zwei Stunden Wache holen uns jetzt ein und wir erreichen Puy Puy erst im Dunkeln. Die Bucht ist recht groß, für Surfer gibt’s Hostel und Hängematten. Und es ist jede Menge Platz zum Zelten. Jedoch sind auch aufdringliche und ausgebuffte Bettler unterwegs. Eine kleine Flasche Rum für umgerechnet 80 Cent läßt uns allerdings die Sorgen vergessen und wir lachen über den aufregenden Tag. Die Nacht bringt wieder Regen und vom Meer steigt am Morgen Nebel auf. Gespenstisch zieht er unter den hohen Palmen hinweg, an denen sich Termiten Wandertunnel in die Wolken bauen.

Wir haben eine lange Rückfahrt vor uns. Susan muß morgen früh raus und wir haben immerhin 300 km zu fahren. Wir packen zusammen, schütteln den Sand aus der Ritze und satteln die Motos.

Fazit: Venezuela ist, allen Ernstes, eines der schönsten Länder der Welt.

> Venezuela 5

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