Amazonas

< Auf dem Weg nach Manaus

Das Amazonasbecken

Manaus. Das Leben in den Straßen pulsiert wie das Blut in den Adern der Brasilianer. Schon bevor die ersten Sonnenstrahlen die Gemüter erhellt, erhöht sich die Frequenz auf Einhundert und es kommt Bewegung in die Gassen. Die Stadt präsentiert sich wie ich es mir vor gestellt hatte, immer eine quirlige, lebhafte Masse mit offiziellen 1,2 Millionen Einwohnern. Die Dunkelziffer wird allerdings mit mehr als 3 Millionen angegeben. Als zollfreie Handelszone am wasserreichsten Fluß der Erde, dem Amazonas, gelegen, ist sie Dreh- und Angelpunkt für den gleichnamigen Bundesstaat. Ein Straßensystem ist praktisch nicht existent, so daß alles über viele hundert Wasserwege, per Flugzeug oder eben gar nicht erreicht wird. Der Fahrer des Lkw, früh um halb sechs vor unserem Hotelfenster in der Rue dos Andradas, ist wahrscheinlich in seinen Gedanken schon bei seiner ersten Lieferadresse und hat keine Ahnung von Hotelgästen, die sich völlig entnervt die Kissen auf die Ohren drücken.


Es bewölkt sich. Die Regenzeit ist am Ausklingen, kein Grund für den immer noch täglich um diese Zeit einsetzenden Regen.

Er wird heftig und drischt regelrecht ans Fenster um dann abrupt aufzuhören und Platz für die noch recht spärlichen Sonnenstrahlen zu machen.

Einmal wach machen wir uns auf, um die Passage für uns und die Motorräder zu organisieren. Die Idee, den Amazonas bis Tabatinga zu befahren und von da weiter über Iquitos in Richtung Yurimagnas nach Peru, haben wir aus Budgetgründen gestrichen. Im Vergleich zum Reiseführer sind die Preise um ein vielfaches gestiegen. Wir entscheiden uns für die nicht so frequentierte Strecke Manaus–Porto Vehlo.

Über den Amazonas geht es zunächst 150 km stromabwärts, dann seinen bedeutensten Zufluß und drittgrößten Fluß Südamerikas, den etwa 3.200 km langen Rio Madeira, hinauf.

Wir buchen uns auf dem Transportschiff »Balca Viecra« ein, was sich im Nachhinein als ganz gute Lösung herausstellte.

Sie ist viereckig wie ein Ponton und hat auch Platz für Passagiere. Wir werden von einigen Passagierdampfern überholt, die etwas schneller unterwegs sind. Die Atmosphäre an Bord ist recht familiär. Zusammen mit der fünfköpfigen Manschaft sind etwa 18 Leute an Bord. Zwei Pkw und unsere Motorräder.

In Manaus treffen wir Carlos, einen etwa fünfzigjährigen Mann, der fließend Spanisch, Italienisch, Katalanisch und ein bißchen Englisch spricht. Er hilft uns eine Waschgelegenheit für unsere Sachen zu finden und unsere Internetsachen zu erledigen. Auch sonst ist er uns eine große Hilfe, neben all seinen manchmal recht aufdringlichen Kollegen, die im Tourismusgeschäft arbeiten. Wer also nach Manaus kommt hat hier eine Möglichkeit einer guten Hilfe. Ich habe ihm versprochen, seine E-Mail-Adresse und Telefonnummer zu publizieren, hier ist sie also:


Carlos in Manaus

yanomamy_expedition@yahoo.com

Tel.: +92 (für Manaus) 9 111 03 55


Nachdem wir die Passage gebucht hatten, konnten wir das Getümmel in den Straßen relaxter geniessen. Die vielen Verkaufsstände im Hafen, die Fisch- und Fleischhalle, in der neben den berühmten Piranhas noch zahllose andere Fischsorten gehandelt werden und Obst. Früchte über Früchte, wunderschön aufgestapelt und verkaufsfertig hindrapiert, warten sie auf ihre Käufer.

Es ist ein Gewusel und Getümmel, wo viele ihre Waren lauthals anpreisen, andere wieder völlig im Stillen oder gar gelangweilt.

Abends in unserem Hotel Panoramico, welches auch Zimmer stundenweise vermietet, sitzen wir auf einem Straßenzaun am Hotel und unterhalten uns mit den Leuten aus der Gegend. Jede Kreuzung hat hier ihre eigenen verkrachten Existenzen. Tagsüber die kleine Jugendgang von fünf, sechs Burschen die vielleicht 10–12 Jahre alt sind und ihr Geld mit Einweisen von Autos in dünn gesäte Parklücken und das Aufpassen auf selbige verdienen.

Ich begrüsste sie immer mit Handschlag und freundlichem Hallo und reichte schon mal ein paar Stücken Melone aus dem Hotelfenster und sie erzählten mir ihre Favoriten in der Fussball-WM.

Nachts wechseln sie sich dann ab mit verschiedenen zwielichtigen Gestalten und natürlich den Damen der Lust. Die Damen sind durch die Bank nicht sehr ansehnlich und sehen in ihren wahrscheinlich noch recht jungen Jahren schon sehr verlebt aus. Aber sie sind nett und es ist recht lustig, sich mit ihnen zu unterhalten. Leider geht es mit unseren bescheidenen Portugiesischkenntnissen nicht über ein bißchen Smalltalk hinaus.

Die Nacht bricht herein und es beginnt die eigentlich schönste Tageszeit in Brasilien. Man geht zum Essen in eine der Churascerias, wo immense Fleischberge über den Tisch gehen oder in Restaurants, die das Essen nach Kilo berechnen. An jeder Straßenecke warten unzählige Grillstände mit Fleischspießen voller Rind- und Hühnerfleisch oder Innereien wie Hühnerherzen für jeweils einen Real auf ihre hungrigen Konsumenten. Es ist köstlich, das eine wie das andere, und ich schwelge im wahrsten Sinne des Wortes in Fleischeslust. Allerding werden die verschiedenen Fleischsorten zerhackt und wenn sie auf den Tisch kommen, auf die Spießchen verteilt, sollte man auf die kleinen Knochensplitter achten. Die Bekömmlichkeit leidet darunter in keinster Weise.


Unser Boot setzt sich langsam in Bewegung.

Im Hafen müssen wir durch drei verschiedene Kontrollen, von denen wieder eine 10 Dollar pro Moto kostet. Anbetrachts der etwa 10 leicht bewaffneten Zollbeamten bezahlen wir zähneknirschend. Dann kommt das Verladen.

Unkonventionell werden die Motorräder in voll beladenem Zustand über ein langes Brett auf die Ladeplattform der »Balca Viecra« geschoben, wo wir sie abladen. Die Verladearbeiter, drei an der Zahl, sehen ihre große Chance. Sie fordern satte sechzig Reales (dreißig Dollar) für das Verladen von zwei Motorrädern in ungefähr siebeneinhalb Minuten. Da der Mittelsmann, über den wir die Passage gebucht haben, noch die andere Hälfte der gestern angezahlten Summe zu bekommen hat, nehmen wir sein Wechselgeld zum Bezahlen der Arbeiter. 20 Reales scheinen uns angemessen. Das sind immer noch 6,66 für jeden und wirklich, nach kurzem Wettern verabschieden sie sich freundlich händeschüttelnd und sind gleich darauf vom Boot verschwunden. Heiko hat von einem holländischen Pärchen, welches seit vier Jahren mit dem Fahrrad unterwegs ist und die wir in unserem Hotel trafen, eine Hängematte abgekauft, so daß wir nun also für fünf sechs Tage auf dem Zwischendeck Stellung beziehen. Hier sind hunderte Haken für halb so viele Hängematten. Zwischen unsere Hängematten stellen wir unser Gepäck.

Ladedeck Mitteldeck

Die Reiseführer schreiben, daß auf den Booten für Personentransporte geklaut wird wie sonst etwas, was für uns bedeutet, daß immer einer am Platz bleibt. Jedoch ist das Transportboot bei Weitem nicht so mit Menschen überladen wie die reinen Personenboote, so daß sich alles ganz gediegen angeht.

Da sind zunächst drei junge Burschen von etwa 18–20 Jahren, von denen einer so etwas wie eine Gangtätowierung am Unterarm trägt. Ich vermute, sie studieren von Porto Velho kommend in Manaus und fahren jetzt auf Heimaturlaub.

Drei Studenten

Dann ist da noch der Mann, den ich mal den Fahradmonteur nennen will. Er hat eine Tasche voll Werkzeug dabei und pumpt zwischendurch mal einen Fahrradschlauch auf, um seine Dichtheit zu prüfen. Danach packt er alles wieder ein und das war alles. Naja, gut so. Er ist etwa Fünfzig und spindeldürr und klärt mich über den Regenwald auf. Neben der Besatzung die aus einem Koch, der sein Handwerk versteht, dem Kapitän und fünf weiteren Männern, die sich Maschinenraum und Brücke teilen, besteht, gibt es noch Juniel Brandoó Silvo. Er reist mit seiner Frau, seinem etwa fünf Jahre alten Sohn, seiner acht Monate alten Tochter, seinem Bruder mit Frau und seiner Mutter. Sie alle finden Platz im Volkswagen der auf den klangvollen Namen »Gol« hört und annähernd so aussieht wie der Golf. Weil allerdings nur annähernd, hat man kurzer Hand das »f« weggelassen, so heißt er eben auch nur annähernd wie der Golf.

Juniel besteht darauf, das ich seine ganze Sippe fotografiere. Zu guter Letzt setzt er noch seine kleine Tochter auf die vor lauter Bässen vibrierende und auch aus lauter Bässen bestehende Hutablage für ein Foto. Was soll’s, ihr gefällt’s offensichtlich und sie lächelt fürs Foto.

Das Boot ist, wie die meisten Schiffe auf dem Amazonas, ausgestattet mit einem Unter-, Mittel- und Oberdeck. Wobei hier bei der »Balca Viecra« das Oberdeck nicht überdacht ist. Die meisten anderen Flußschiffe haben die Form einer gebogenen Schuhsole und sind vorne spitz. Außerdem sind sie meistens um einiges schneller. Die »Balca Viecra« hat, wie gesagt, eher die Form eines viereckigen Stahlpontons. Ihr Herz ist ein genau in der Mitte des Schiffes gelegener und alles übertönender, Sechs-Zylinder-Scania-Dieselmotor der aussieht, als ob er früher einmal zwischen den Vorderrädern eines Lkw durch die Straßen gefahren wäre. Direkt neben der zwei mal zwei Meter großen Öffnung zum Maschinenraum im Boden steht der große und einzige Tisch auf dem Boot, an dem sich, wenn zum Essen gerufen wird , alle einfinden. Zuerst essen die Passagiere, danach die Mannschaft. Das Essen für die fünf Tage ist mit zwei Mahlzeiten und Keksen zum Frühstück im Preis enthalten. Es gibt Hühnchen, Rindfleisch, Reis und Nudeln und immer gefiltertes Flußwasser dazu. Das Essen ist ganz gut, was ich dem Koch mit einer Geste bedeute, der es allerdings, im allgemeinen nicht sehr kommunikativ, mit einem Kopfnicken abtut.


Als wir gegen vier fünf Uhr nachmittags Manaus verließen schien die Sonne. Wir fühlten uns wie auf einem Hochseeschiff beim Auslaufen auf offene See. Der Amazonas ist hier, und etwa noch weitere 150 km, so breit, daß man meint man ist auf hoher See. Dabei sind wir hier etwa 1.700 km im Landesinneren. Es ist unglaublich. Auch das ganze Flair von Manaus ist gut mit anderen großen Hafenstädten zu vergleichen. Es kommen ja die ganzen großen Ozeanriesen bis hier hinein nach Manaus, praktisch ins Innere von Brasilien, zum Herzen des Amazonasgebietes. Riesige Containerschiffe werden be- und entladen, gerade als wäre man in Hamburg. Wenn man allerdings mit so einem Ozeanriesen die Elbe 1.700 km stromaufwärts fahren würde, hätte man ein Problem, denn die Elbe ist bis zur Quelle gerade mal reichlich 1.000 km lang.

Manaus liegt unmittelbar am recht spektakulären Zusammenfluß des Rio Negro mit dem Rio Solimóes, der als Ursprungsstrom des Amazonas gilt.

Der Rio Negro führt durch seinen Mineralienreichtum sehr schwarzes Wasser, während der Rio Saloimóes quittegelbes Wasser führt. Nach der Vereinigung fließen erst schwarzes und gelbes Wasser nebeneinander her, was manchmal phantastische Kontraste ergibt und dann vermischt es sich langsam.

Es wird Nacht und die »Balca Viecra« fährt irgendwann, während wir friedlich in unseren Hängematten schlummern, in die Mündung des riesigen Madaeira ein.

Das monotone Brummen der Dieselmaschine ist gewöhnungsbedürftig aber die Ereignisse des Tages haben mich müde gemacht. In einem kurzen wachen Moment mache ich noch ein Foto von einem Manaus zustrebenden Personendampfer, der geradewegs dem seit einigen Minuten der Vergangenheit angehörenden Sonnenuntergang hinterherdümpelt, dann schlafe ich ein.


Früh am Morgen. Das Bild hat sich nicht großartig verändert. Das monotone Geräusch des Diesels bestimmt alles. Ich wache langsam auf und irgendwann meint einer der Besatzung, es gibt unten Kaffee. Kaffee klingt gut. Immer süß und hier in Brasilien sogar trinkbar. Das Wasser des Madeira ist lehmig braun oder sehr hell erdfarben. Wir haben das Wasser auch zum duschen und die Kloospülung funktioniert natürlich auch mit selbigem. Ich muss immerzu an meinen guten Freund Titte zu Hause in Deutschland denken, der ein ganzes Jahr hier in Brasilien gelebt hat und von dessen Erzählungen ich damals schon sehr viel in mich aufgenommen hatte. Ich würde jedem, der eine Tour durch das Amazonasbecken plant raten, die manchmal bis zu zwei Kilometer breiten Flüsse stromaufwärts zu befahren, da die Schiffe und Boote stromabwärts zwar um einiges schneller sind, sich jedoch immer in der Strommitte also in der Hauptströmung halten und damit mindestens einen Kilometer vom Ufer weg sind. Ich dagegen habe viele gute Gelegenheiten, die freundlich winkenden Bewohner am Ufer zu fotografieren, da unser Boot am Ufer entlang fährt, um der Strömung zu entgehen.

Die Bewohner des Regenwaldes bauen hier im Amazonas ihre Hütten auf Pfähle, um in der Regenzeit nicht davonzuschwimmen. Sie haben keinerlei Anbindung an ein Straßennetz, da es keines gibt. So wickelt man alles über die dicken Lebensadern von Mutter Erde ab, den Flüssen mit ihren tausenden Nebenflüssen und Bächen.

Viele halten Ziegen, Kühe, Schweine und Hühner und überall um die Häuser stehen Papajas, Bananen und unzählige andere Fruchtbäume deren Namen ich nicht einmal kenne.

Ein Mann streicht sein auf dem Ufer liegendes Boot. Es wird einmal blau sein, wenn er seine Arbeit geschafft hat.

Kinder spielen in einer, vom über die Ufer getretenen Madeira gebildeten, Pfütze Fußball. Sie toben zu sechst oder siebent wie wild dem Ball hinterher und werfen sich immer wieder lauthals ins Wasser.

Eine grosse Sau säugt faul in der Sonne liegend ihre Ferkel, die einen ungestümen und hungrigen Eindruck machen.

Ab und zu fahren kleine Boote aus dem dicht bewachsenen Ufer heraus und biegen dann ein paar Kilometer stromauf- oder -abwärts wieder hinein.

Die Szene wechselt ständig, da das Boot praktisch nie still steht und mit gleichbleibender Geschwindigkeit seine Furchen in den Strom zieht.


Starker Regen setzt ein. Einer von der Manschaft rollt die Seitenplanen herunter. Das Getöse der laut aufs Oberdeck prasselnden Regentropfen übertönt für einen kurzen Moment das monotone Hämmern der dieselgetriebenen sechs Zylinder in ihrem Block.

Jemand lacht laut.

Für alle anderen an Bord ist die Fahrt was ganz Profanes. Es ist für sie, als würden Leute in Deutschland in einen Bus steigen und 200 km auf Montage, zum Studieren oder zum Verwandtenbesuch fahren. Es ist ein regulärer Transportweg mit festem Liniendienst. Für uns natürlich phänomenal, schon allein die Entfernungen sind gigantisch. Wir überholen einen Schubverband. Ein starkes kleines Schubboot schiebt zwei Stahlpontons, auf denen dicht an dicht Lkw-Anhänger stehen.

Ein anderer Schubverband hat Container geladen, von denen auch einige die Aufschrift Hamburg-Süd tragen. Ach Deutschland, wie fern du bist! Mir wird ganz weh ums Herz.

Ein kleines Boot, etwa die Größe einer kleinen Personenfähre, treibt auf der Flußmitte stromabwärts. Um es herum sind riesige Baumstämme angebunden, so das es den Anschein hat als würde ein großes Floß mit Kabine auf dem Fluß treiben. Schöne Regenwaldhölzer für eine Mühle in Manaus vielleicht. Wie die schweizer Sägemühle von Franz dem Österreicher in Boa Vista, der fast ausschließlich für die Schweiz sägt.


Der Koch ruft zum Mittagessen. Alle sammeln sich an dem großen Tisch neben dem Maschinenraum. Das Essen wird in bunten Plastiktupperdosen serviert und von braunen Glastellern gegessen. Dazu kaltes Wasser aus Plastebechern, die hinterher in den Fluß fliegen, wie alle Abfälle inklusive Plastik, Glas oder Papier.

Keiner spricht, was bei dem Lärm der Maschine eh zwecklos wäre. Man müßte schon schreien um sich verständlich zu machen. Die Rester gehen, wie schon gesagt, über Bord. Hier hat der Mensch offensichtlich noch nicht aufgehört die Umwelt zu vermüllen. Auf einer Toilettenpapierpackung fand sich ein Ratespiel, wo es um die Kompostierung von Abfällen ging. Papier braucht zum Beispiel 4–5 Wochen um sich zu zersetzen und Plastik etwa 450 Jahre. Na sehr schön, dann ist ja alles in bester Ordnung.

Wir haben ein bißchen Cachaça mit aufs Boot gebracht. Dazu riet uns der Kanadier, der uns seine alten Reifen geschenkt hatte. »Das vertreibt die Lethargie und schafft Freunde« meinte er.

Heute nun am dritten Tag auf dem Fluß machen wir uns Freunde. Bald weiß jeder an Bord, das die beiden Alemães nicht Nein sagen können, wenn man sie nach einem Schluck des 39-%-igen Zuckerrohrschnapses fragt. Bei so vielen Freunden sind die Resourcen natürlich schnell erschöpft, jedoch einer von der Mannschaft erklärt sich sofort bereit, in das kleine aber schnelle Beiboot zu steigen, um wenig später von irgendwo aus dem dichten Dschungel des Regenwaldes mit drei neuen Flaschen aufzutauchen. Cachaça gehört hier zum Leben wie in Rußland der Wodka oder in England der Whisky.


Das sind Delphine! Ich glaube erst zu träumen, als ob nicht die Weite des riesigen Stromes ausreichen würde um so ein bißchen Hochseegefühl zu vermitteln, jetzt gibt es sogar noch Delphine. Sehr häufig sogar, meistens zu zweit oder mehr. Sie tauchen kurz auf, dann noch ein zweites mal und dann sind sie wieder weg. Manchmal springen sie ganz aus dem Wasser heraus, jedoch zu schnell für mich, daß ich sie vor die Linse bekommen könnte. Sie sind bedeutend kleiner als ihre Salzwasser-Kammeraden, vielleicht einen Meter lang. Man sieht sie immer nur kurz beim Auftauchen, da das Wasser zu lehmig ist.


Früh am Morgen, mit einem Glas Kaffee in der Hand stehe ich auf dem Oberdeck und nehme den nassen, schweren Duft des Regenwaldes tief in mich auf. Die grüne Lunge von Mutter Erde, pur, unverdünnt und rein. Unbezahlbar!

Jetzt sind die Ufer wieder unbewohnt und der geschwollene Fluß dringt mit Leichtigkeit in den dichten satt grünen Regenwald ein. Das Leben hier hat etwas tief Ursprüngliches, scheint mir, etwa wie ein großer alles durchdringender Frieden. Weit ab von den Geschehnissen der restlichen Welt. Der große Wald füttert jeden der es zuläßt im Überfluß, und doch ist das Gebiet so spärlich besiedelt.

Es regnet wieder und ich gehe hinunter um in der Hängematte zu dösen.

Abends legen wir gegen 19:00 Uhr in Manicoré an. Während ich die drei Stunden komplett verschlafe nutzt Heiko die Gelegenheit an Land zu gehen um später von »der Schönheit der Frauen und Mädchen dort und ihrem sagenhaften Duft« zu schwärmen.

Die drei Studenten gehen von Bord, dafür kommen zwei neue Männer an Bord, der eine mit zwei Mopeds die auf die Ladefläche verladen werden.


Die letzten Anlegemanöver waren nur kurz, heute morgen 6:00 Uhr in Novo Aripuana und gestern nachmittag in Borba.

In Borba, direkt oberhalb des Steilufers steht eine schöne blau-weiße Kirche mit einem knapp 20 Meter hohen Mönch davor, der einen kleinen Knaben auf seinem Arm hält. Natürlich mit Heiligenschein.

Es wurde nur Ladung gelöscht und Diesel von einem Tankschiff gebunkert. Borba bekam etwa 15 neue Feuerlöscher und Novo Aripuaná wurde während der Vorbeifahrt mit dem kleinen Beiboot beliefert.


Die frühen Morgenstunden sind die schönsten auf dem alten Kahn. Ich steh wieder auf dem Oberdeck und zelebriere meine morgendliche Inhalation des frischen Regenwaldduftes. Der Medizinmann, der beim letzten Halt zustieg, erklärt mir viele der vorbeiziehenden Baumarten und ihre Bestimmungen. Er deutet mit seinem Finger auf das Ufer. Die dort drüben, die kleinen büscheartigen mit den vielen Blüten, die zur Hälfte im Hochwasser stehen, werden für kosmetische Zwecke verwendet. Aus den hohen Bäumen dahinter so wie aus denen mit den weißen Blüten macht man Medizien. Der Mann macht einen sehr gepflegten und gebildeten Eindruck und in seinen Gesichtszügen ist eindeutig der Indianer zu erkennen. Er ist in Manaus Doktore und da wo er herkommt nennt man ihn Medizinmann. Wie logisch.


Vor uns fährt ein Schlepperverband, der von im tiefsten Inneren des Amazonas gelegenen Plantagen Soja nach Manaus bringt und nun wieder leer zurück fährt. Er hat sage und schreibe 18 riesige Pontons in seinem Verband und das Kopf an Kopf Rennen soll über eine Stunde dauern.

Die Höchstgeschwindigkeit der »Balca Viecra« ist erreicht. Der alte Kapitän will sich keine Blöße geben, also alles Licht aus, sämtliche Nebenagregate abgeschalten und der kleine Dickliche mit dem Schnauzbart und der Glatze strafft noch mal die dünnen Stahlseile, die zur Dieselpumpe führen und bis zum Bersten gespannt sind. Alle, Besatzung wie Pasagiere, halten die Luft an.

Als der Schnauzbart dann noch mit einem Schraubendreher bewaffnet in den Maschinenraum abtaucht, ist der Sieg unser.

Langsam aber souverän zieht der alte Kahn vorbei und setzt sich vor den häßlich modern aussehenden Superschlepper »Bonifacius Sachetti«.

Der Koch, der von all dem völlig unbeeindruckt sein Hühnchen kocht, ist heute ein Miesepeter und der Maschinenraumindianer erklärt mir, wie und wo man am allerbesten Piranhas fängt.

Juniels Frau möchte gerne noch auf dem Oberdeck mit ihren Kindern vor der brasilianischen Flagge fotografiert werden und zum besseren Einschlafen schauen einige von der Mannschaft und einige Pasagiere wieder Fernsehen welcher natürlich über den ordinär großen Verstärker auf Stadionlautstärke gestellt ist, damit der monoton hämmernde Schiffsmotor übertönt wird.

Das Lustige am Fernsehenschauen auf einem Boot ist, daß der Sender mit einem riesigen Parabolspiegel empfangen wird und alle 10–15 Minuten droht im Mattscheibengrießel zu verschwinden, wenn sich nicht immer einer bereit erklärt, in eben diesen Zyklen zum Achterdeck zu laufen und an einem Einstellrad an der Decke den auf dem Oberdeck montierten Spiegel wieder in Position zu bringen. Wenn das Boot also ein bißchen schneller wäre, dann hätte man wieder einen der in Brasilien so nötigen Arbeitsplätze geschaffen, nämlich den des Parabol-Spiegel-Einstell-Ingenieurs.


Die Ankunft in Porto Vehlo früh gegen 9:00 Uhr war wieder interessant. Es mußte erst einmal eine geeignete Stelle gefunden werden, wo man an Land gehen kann. Und wo vor allem die Autos und unsere Motorräder herunterfahren können. Der erste Platz an dem der Kapitän anlegt entpuppt sich als ungeeignet, da das Ufer weitestgehend vom vielen Regen aufgeweicht scheint. Am zweiten Platz soll es aber dann funktionieren. Die abenteuerliche Rampe, die aus Holzbrettern und einem untergelegten Faß besteht, hält die beiden Autos aus, dann werden wir auf jeden Fall heil herunterkommen.

Wir verabschieden uns von allen und machen uns auf ein Hotel zu suchen.


Ein schönes Kapitel unserer Reise findet sein Ende.

> Porto Velho

Beyond Pictures Landkarte Amerika